Die affektive Ebene hat maßgeblichen Anteil daran, ob und inwiefern die Interaktion zwischen einer Führungskraft und einem Mitarbeitenden gelingt. Ob eine Führungskraft beispielsweise morgens immer tiefenentspannt oder schon total angefressen zur Arbeit kommt, hat nicht nur einen entscheidenden Einfluss auf die Atmosphäre im Büro, sondern auch auf die Art und das Ergebnis der geführten Gespräche (vgl. Barsade/O'Neill 2016, S. 23).
Die gute Gestaltung der Atmosphäre will daher gelernt sein. Die Kunst (und das Handwerk) der atmosphärischen Führung zeigt hierfür zahlreiche Ansatzpunkte auf (vgl. Julmi/Rappe 2018, S. 129-162).
Jede Situation hat ihre „Erlaubnisse“ und „Verbote“
Demgegenüber ist allerdings zu beachten, dass sich nicht pauschal sagen lässt, welches Verhalten auf einer atmosphärischen Ebene zu welchem Erfolg führt. Eine Entschuldigung kann in der einen Situation die Atmosphäre entspannen und den Konflikt auflösen, während die Entschuldigung in einer anderen Situation als Schuldeingeständnis gilt und die eigene Position schwächt (vgl. Schweitzer/Brooks/Galinsky 2016, S. 66).
Dies hängt nicht zuletzt davon ab, wie man sich entschuldigt und ob die Entschuldigung als aufrichtig empfunden wird – aber nicht nur, denn Situationen und ihre verhaltensbezogenen „Erlaubnisse“ und „Verbote“ können sehr unterschiedlich sein. Wer atmosphärisch kompetent führen will, muss ein Gespür für diese situativen Erlaubnisse und Verbote entwickeln – also lernen, welches Verhalten in einer bestimmten Situation erlaubt und gewünscht ist, und welches nicht.
Hinsch/Wittmann (2010) haben in Bezug auf die Erlaubnisse und Verbote von Situationen beispielhaft drei Typen von Situationen beschrieben. Diese sollen nachfolgend kurz skizziert und in ihrer Bedeutung für das ‚richtige‘ atmosphärische Führen diskutiert werden.
Situationen vom Typ „Recht durchsetzen“
Bei diesem Situationstyp geht es darum, im Recht zu sein und dieses – legitime – Recht durchzusetzen. Nehmen wir zum Beispiel an, eine Führungskraft bemerkt, dass sie einem ihrer Mitarbeiter eine ehrenvolle Aufgabe nur aufgrund einer Täuschung übertragen hat. Nun will sie den Mitarbeiter zur Rede stellen bzw. ihm die Aufgabe wieder entziehen (vgl. Hinsch/Wittmann 2010, S. 49-50).
Es ist leicht einzusehen, dass die Führungskraft hierbei eine legitime Forderung stellt. Es ist entsprechend auch nicht entscheidend, ob der Mitarbeiter die Führungskraft sympathisch findet oder nicht, weshalb die Führungskraft auch nicht besonders freundlich sein oder auf Verständnis des Gegenübers hoffen muss.
Inwiefern die Kommunikation auf einem attraktiven oder repulsiven Verhältnis beruht, ist zweitrangig. Entscheidender ist die Dominanzrolle, die die Führungskraft einnimmt bzw. einnehmen sollte, indem sie klar und bestimmt ausspricht, was sie (und gegebenenfalls auch warum sie es) will. Dies kann der Mitarbeiter dann (in einer attraktiven Interaktion) verstehen oder muss es (in einer repulsiven Interaktion) so hinnehmen.
Situationen vom Typ „Beziehungen“
In Situationen von diesem Typ steht insbesondere die Beziehung zweier Menschen im Vordergrund. Nehmen wir an, eine Führungskraft möchte, dass eine Mitarbeiterin auf einer Veranstaltung einen fachlichen Vortrag hält, woraufhin diese allerdings ablehnt, da sie ungern im Rampenlicht steht und sich hierbei nicht wohlfühlen würde (vgl. Hinsch/Wittmann 2010, S. 50-51).
Einerseits hat die Führungskraft durchaus ein gutes Recht auf die Erfüllung der Aufgabe, zumal wenn die Mitarbeiterin als einzige im Team aufgrund ihres fachlichen Hintergrundes infrage kommen würde. Andererseits will die Führungskraft die Mitarbeiterin nicht vor den Kopf stoßen und die gute Beziehung zu ihr nicht gefährden.
In derartigen Situationen wie bei der Situation vom Typ „Recht durchsetzen“ in die Dominanzrolle zu gehen und auf der Forderung zu bestehen, wäre beziehungstechnisch eher keine gute Idee. Stattdessen sollte die Attraktion mit wechselnder Dominanzrolle im Vordergrund stehen. Die Führungskraft sollte ihre eigenen Perspektiven und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen (attraktive Dominanz), aber auch durch aktives Zuhören sich in die Perspektive der Gegenseite einfühlen (attraktive Subdominanz).
Situationen vom Typ „um Sympathie werben“
Darüber hinaus existieren Situationen, in denen das eigene Ziel nur erreicht werden kann, wenn einen die Gegenseite für sympathisch hält. Sagen wir, eine Führungskraft möchte, dass ein Mitarbeiter etwas für sie erledigt, obwohl es nichts mit der Arbeit zu tun hat (z. B. ein Paket nach der Arbeit abholen) (vgl. Hinsch/Wittmann 2010, S. 52-53).
In derartigen Situationen gibt es für die Gegenseite eigentlich keine „Verbote“, sondern nur „Erlaubnisse“. Schließlich muss der Mitarbeiter nicht den privaten Kram seiner Führungskraft erledigen. Die Führungskraft muss aus einer attraktiv-subdominanten Position ihren Charme spielen und auf die Gunst des Mitarbeiters hoffen, dessen Perspektive hierbei im Vordergrund steht, schließlich soll es dem Mitarbeiter aus seiner Perspektive ‚schmackhaft‘ gemacht werden. Hierbei vorzugehen wie in einer der beiden vorherigen Situationstypen, würde dagegen eher nicht zum Erfolg führen.
Auf die Sensibilität für die Situation kommt es an
Ob ein bestimmtes Verhalten auf einer atmosphärischen Ebene zum Erfolg führt, hängt von der jeweiligen Situation ab. Bei den geschilderten drei Situationstypen sind die von der Situation geforderten Dominanzrollen jeweils sehr unterschiedlich verteilt. Während bei dem Situationstyp „Recht durchsetzen“ ein (attraktiv oder repulsiv) dominantes Verhalten angemessen ist, ist beim Situationstyp „um Sympathie werden“ ein (attraktiv) subdominantes Verhalten gefragt. Beim Typ „Beziehungen“ ist wiederum ein ausgeglichenes Verhältnis von (attraktiver) Dominanz und Subdominanz gefragt.
Erneut zeigt sich – und dies ist eines der Hauptanliegen der atmosphärischen Führung – die Unmöglichkeit, allgemeine ‚Rezepte‘ für erfolgreiches Verhalten aufzustellen, das Führungskräfte dann nur noch ‚nachkochen‘ müssen. Ob ein bestimmtes Verhalten erfolgreich ist, hängt nicht nur von der Führungskraft, der geführten Kraft und der Aufgabe ab, sondern auch von der jeweiligen Situation. Hierfür zu sensibilisieren wird die atmosphärische Führung nicht müde, die mit ihrer Systematik helfen kann, die situative Wirksamkeit der Führung zu steigern – zumindest, wenn die Führungskraft gewillt ist, die eigene Sensibilität durch beständige Selbst-Kultivierung auch tatsächlich zu entfalten.
Literatur
Barsade, Sigal G./O‘Neill, Olivia A.: Motor für die Leistung, in: Harvard Business Manager 27 (3/2016), S. 20-31
Hinsch, Rüdiger/Wittmann, Simone: Soziale Kompetenz kann man lernen, 2. Aufl., Weinheim 2010
Julmi, Christian/Rappe, Guido: Atmosphärische Führung. Stimmungen wahrnehmen und gezielt beeinflussen, München 2018
Schweitzer, Maurice E./Brooks, Alison W./Galinsky, Adam D.: Es tut uns so leid! In: Harvard Business Manager 27 (5/2016), S. 60-71
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