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AutorenbildDr. Christian Julmi

Kiss up kick down, atmosphärisch gesehen

Nach oben buckeln und nach unten treten – dieses weithin bekannte Fahrradfahrer-Prinzip mancher Führungskräfte wird im Englischen als ‚Kiss up kick down‘ bezeichnet. Die Führungskraft verfolgt hier zwei getrennte Verhaltensweisen: ein ‚Kiss up‘ Verhalten nach oben, und ein ‚Kick down‘ Verhalten nach unten.


‚Kiss up‘ versus ‚Kick down’

Das ‚Kiss up‘ stellt im Verhalten gegenüber Vorgesetzten ein attraktiv-subdominantes Verhalten dar. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass die Perspektive der Vorgesetzten in der Interaktion als die geltende Sicht ‚von unten‘ auf den Podest, also ‚nach oben‘ gestellt wird. Man lässt Vorgesetzte z. B. vor Dritten besonders gut dastehen, zeigt bestätigendes Verhalten oder schmeichelt ihnen bei jeder Gelegenheit.

Das ‚Kick down‘ ist dagegen repulsiv-dominant, also diametral entgegengesetzt. Führungskräfte setzen Untergebene gezielt unter Druck, indem sie gezielt auf negative Dominanz setzt, etwa durch das Aussprechen einer Drohung oder ein einschüchterndes Verhalten. Die Perspektive der Untergebenen spielt keine Rolle. Die Führungskraft möchte auch kein gemeinsames Verständnis erreichen; sie zwingt ihre Perspektive einfach ihren Untergebenen auf oder lässt die schlechte Laune an ihnen aus (vgl. Gerpott/​​​van Quaquebeke 2023, S. 76).


Warum ‚Kiss up‘ und ‚Kick down‘ eng zusammenliegen

Das System der atmosphärischen Führung besagt, dass Perspektiven nur bei einem attraktiven Verhalten beider Interaktionspartner geteilt werden, mit der dominanten Seite als Perspektivengeberin und der dominierten, d. h. subdominanten Seite als Perspektivennehmerin. Beim ‚Kiss up‘ ist die Führungskraft also die Perspektivennehmerin – aber nur, wenn ihre Vorgesetzten sich attraktiv-dominant verhalten, die Interaktion also tatsächlich ein attraktives Band zwischen beiden Seiten aufweist.

Davon ist allerdings in der Regel nicht auszugehen. Ein ‚Kiss up‘ Verhalten ist (und wirkt damit) oft gespielt und kommt wenig authentisch rüber. ‚Ja-Sager‘ mögen bei denen ‚da oben‘ zwar beliebt sein. Wer sich aber zu sehr aufdrängt, anbiedert oder einschleimt, provoziert eher ein ablehnendes, also repulsives Verhalten (vgl. Julmi/​​​Rappe 2018, S. 17). Ein ‚Kiss up‘ Verhalten kann in diesem Sinne ein ‚Kick down‘ Verhalten bei den Vorgesetzten als Antwort hervorrufen. Dies führt dazu, dass keine Perspektiven, sondern nur Druck weitergegeben wird.

Die vom ‚Kick down‘ ihrer Vorgesetzten betroffene Führungskraft mag dann geneigt sein, das ‚Kick down‘ Verhalten ihrerseits nach unten weiter zu geben. Eine kaskadenförmige ‚Kiss up kick down‘ Kultur kann so schnell entstehen, die oben Druck aufbaut und nach unten entweichen lässt. Aufgrund des fehlenden Perspektivenaustauschs fühlen sich die Mitarbeitenden in einer solchen Kultur isoliert und nehmen sich als Einzelkämpfer wahr. Nach dem Motto: Jeder muss selbst sehen, wo er oder sie bleibt.

Wenn es aber nach unten nur ‚Kick down‘ und nach oben nur ‚Kiss up‘ gibt, küssen alle am Ende die Stiefel ihrer Vorgesetzen (um in der Metapher zu bleiben). Ein bisschen ‚Kiss down‘ muss also schon auch sein, sonst weiß am Ende keiner mehr, was eigentlich in der Organisation vor sich geht, weil niemand mehr über den Stiefelrand blicken kann.


Selbst der Erfolg ist nur von kurzer Dauer

Kurzfristig mag ein ‚Kiss up kick down‘ Verhalten für eine Führungskraft erfolgversprechend sein. Der gute Draht nach oben sichert Ressourcen, die die Führungskraft dann für sich allein in Anspruch nimmt, also nicht nach unten weitergibt. Allerdings stellen sich auch in solchen Fällen Ermüdungserscheinungen ein, die zu einer Eskalationsspirale im Verhalten der Führungskraft führen kann.

Einerseits nutzt sich das ‚Kiss up‘ Verhalten ab. So schön ein Lob von unten sein mag, es verliert mit der Zeit ihren Reiz. Führungskräfte müssen daher in ihrem Buckel-Verhalten immer noch einen draufsetzen, um noch wahrgenommen zu werden. Dem sind irgendwann Grenzen gesetzt. Außerdem ist das anstrengend, was dann wieder das Treten nach unten verschärft, um sich abzureagieren. Wer schleimt schon gerne? Das frustriert.

Auf der anderen Seite gewöhnen sich auch Geführte an das ‚Kick down‘ Verhalten ihrer Führungskraft und reagieren immer weniger darauf. Jeder Tritt tut weniger weh, und irgendwann ist man so abgestumpft, dass man nichts mehr spürt. Die Führungskraft muss also auch hier immer stärker nach unten treten, um noch Schmerzen zu erzeugen. Wenn die Geführten sich dann krankmelden oder kündigen, hat sie gar keinen Punchingball mehr (vgl. Gerpott/​​​van Quaquebeke 2023, S. 76).

Die Grenzen sind also so oder so irgendwann und eher früher als später erreicht. Langfristig profitiert von einem ‚Kiss up kick down‘ Verhalten niemand. Aber auch kurzfristig nutzt sie höchstens Einzelnen. Für eine gute und produktive Atmosphäre braucht es am Ende weder ‚Kiss‘ noch ‚Kick‘, sondern gegenseitigen Respekt.


Literatur

Gerpott, Fabiola H./van Quaquebeke, Niels: Führungskräfte, die nach oben buckeln und nach unten treten, in: People & Work 3 (2/2023), S. 75-77

Julmi, Christian/Rappe, Guido: Atmosphärische Führung. Stimmungen wahrnehmen und gezielt beeinflussen, München 2018


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