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AutorenbildDr. Christian Julmi

Wer sagt mir, wie ich atmosphärisch wirke?

Wer Atmosphären gestalten will, muss zunächst verstehen, wie andere einen auf einer atmosphärischen Ebene wahrnehmen, also z. B. eher als dominant oder empathisch, als angenehm oder unangenehm. Dies ist allerdings alles andere als leicht, da das Selbstbild oft nicht mit dem Fremdbild übereinstimmt und wir uns nicht einfach aus der Perspektive anderer betrachten können. Es stellt sich daher die Frage, wie sich Fremdwahrnehmung wahrnehmen lässt. Wie kann ich erfahren wie andere mich wahrnehmen, welchen Eindruck ich auf andere mache? Wenn kann oder sollte ich fragen?


Freunde, Geführte, Kollegen

Am naheliegendsten scheint zunächst, einfach jemanden zu fragen, der einen gut kennt, also in Freunde oder Freundinnen, die eigenen Geführten oder andere Führungskräfte, die auf derselben Hierarchiestufe stehen. Auf den zweiten Blick erscheint dies allerdings nicht ratsam, da dies höchstwahrscheinlich dazu führt, dass die anderen einem nur das eigene Selbstbild spiegeln, einem also im Prinzip das erzählen, was man gerne hört (und man daher schon weiß).

Bei Freunden oder Freundinnen ist es so, dass sie uns zwar lange kennen, sie uns aber dadurch auch ähneln bzw. wir Freundschaften danach aussuchen, wie sehr andere Personen uns ähneln. Entsprechend spiegeln sie uns tendenziell die eigene Meinung. Zudem geht es bei Freundschaft nicht zuletzt um Harmonie, und da wird ungern Kritik geäußert.

Bei Geführten stellt sich dies nicht besser dar. Geführte sind eigentlich nicht in der Position, in der sie gerne Kritik äußern, schließlich sind sie vom guten Willen des Vorgesetzten abhängig, der sie ggf. auch sanktionieren kann. Oft nehmen Chefs ihre Geführten auch nicht ernst, wenn es um Kritik geht. Dies empfiehlt sich daher ebenfalls eher weniger.

Andere Führungskräfte scheinen noch am besten geeignet, da sie eine gewisse Distanz zu uns haben und auch keine Sanktionen befürchten müssen. Formate wie die kollegiale Beratung können tatsächlich helfen, die eigene Führungskompetenz zu verbessern, wenn dort offen miteinander umgegangen wird. Hierbei besteht jedoch das Problem, dass die anderen eigentlich nicht wirklich nah am eigenen Führungsalltag dran sind und zudem häufig ein zu ähnliches Mindset aufweisen. Tendenziell sind sie daher auch nicht die erste Wahl.


Coaches und Trainings

Was sich grundsätzlich gut eignet – sofern es aufgrund des (auch finanziellen) Aufwands möglich ist –, sind Coaches. Hierbei ist zu beachten, dass sich das Coaching nicht auf Gespräche zwischen Coach und Führungskraft beschränkt, sondern der Coach muss die Führungskraft auch im Alltag und im Umgang mit Mitarbeitenden beobachten können. Der Coach ist also stiller Beobachter, zum Beispiel bei Besprechungen oder im Büro. Wichtig ist, dass die Führungskraft keinen persönlichen Bezug zu dem Coach hat. Es sollte also eine fremde Person sein, die sachlich, kompetent, aber auch deutlich vermitteln kann, welchen Eindruck eine Führungskraft auf ihre Mitarbeitenden macht.

Eine Führungskraft sollte sich darauf einstellen, dass ein solcher Prozess wehtun kann. Wenn uns jemand ins Gesicht sagt „Hey, Du wirkst ganz anders als du denkst“, dann kann uns das in unseren Grundfesten erschüttern. Damit sollte man an der Stelle aber nicht nur umgehen können, sondern dies als Chance sehen, die eigene Wirkung auf andere nachhaltig verbessern zu können.

Im zweiten Schritt kann geschaut werden, ob die eigene Wirkung zu dem passt, was die Mit-arbeitenden brauchen. Wer zum Beispiel nie von sich gedacht hätte, dass andere ihn oder sie als dominant wahrnehmen, dann muss das nicht zwangsläufig schlecht sein. Wenn gerade Krise oder Land Unter ist, kann es durchaus positiv ankommen, wenn jemand sagt, wo es lang geht. Aber es kann natürlich auch einschüchternd und negativ wirken, beispielsweise wenn ein Team vieler Kreativer zu leiten ist, die ihre eigenen Ideen entwickeln sollen. Da kann eine dominante Ausstrahlung sehr hinderlich sein.

Daneben können Führungskräftetrainings hilfreich sein, die speziell darauf ausgerichtet sind, die Teilnehmenden in ihrer Ausstrahlung zu spiegeln. Beispielsweise ließen sich Fallstudien analysieren. Das kann aber höchstens der Einstimmung dienen, denn im Vordergrund sollte die Analyse der eigenen atmosphärischen Wirkung auf andere stehen, also das Eingehen auf die individuellen Teilnehmenden der Trainings. Hier können etwa Rollenspiele helfen, typische Situationen bei der Arbeit nachzustellen, und die Trainer und andere Teilnehmende können Feedback geben, wie man wirkt. Auch dies kann sehr effektiv und lehrreich sein.


Der atmosphärische Kompass

Ein Hilfsmittel, das es erleichtern kann, sich und andere von der atmosphärischen Wirkung her einzuordnen, ist der atmosphärische Kompass mit seinen beiden Dimensionen von (1) Attraktion/Repulsion und (2) Dominanz/Subdominanz.


Abbildung 1: Der atmosphärische Kompass


Die erste Dimension von Attraktion und Repulsion differenziert, ob jemand auf andere Menschen eher eine Sogwirkung hat (Attraktion bedeutet Anziehung) oder eher eine Druckwirkung (Repulsion bedeutet Abstoßung). Dieser Unterschied ist gerade in Bezug auf den Einfluss der Führungskraft auf die Atmosphäre entscheidend. Mit Führungskräften, die einen Sog erzeugt, umgeben sich Mitarbeitende gerne und haben das Gefühl, einer Führungskraft aus freien Stücken zu folgen. Bei Führungskräften, die eine Druckwirkung haben, ist das anders. Hier nehmen Mitarbeitende eher eine Vermeidungshaltung ein, ducken sich weg und sehen ihre Arbeit als etwas an, dass sie tun müssen. Druck und Sog sind dabei keine Metaphern, sondern etwas, das konkret am eigenen Leib – als Bewegungsdrang „hin zu“ oder „weg von“ etwas bzw. jemandem – gespürt wird.

Die zweite Dimension von Dominanz und Subdominanz bringt zum Ausdruck, ob die Führungskraft die Atmosphäre direkt prägt, also eher dominant ist, oder sie sich eher unterordnet und gewissermaßen selbst stärker geprägt wird. Dies ist zunächst neutral gemeint, denn weder sind Dominanz oder Subdominanz per se gut oder schlecht noch ist die Dominanz besser als die Subdominanz oder andersherum. Eine Führungskraft, die beispielsweise empathisch und wertschätzend ist, und dadurch eine Atmosphäre schafft, in der sich die anderen gut einbringen können, und die das gesamte Team mitgestaltet, hätte eine attraktive und subdominante Wirkung (rechts oben im Bild). Attraktiv-dominant wäre die Führungskraft, wenn sie andere gut überzeugen kann oder charismatisch wirkt. Repulsive Dominanz zeigt sich in einer Druckwirkung, der man sich nicht entziehen kann, etwa wenn die Führungskraft andere runtermacht, sie anschreit oder nur die eigene Meinung gelten lässt. Eine Führungskraft, die sich nicht durchsetzen kann, aber auch keine Sogwirkung erzielt, wäre dann repulsiv-subdominant. Dies ist z. B. der Fall bei einer Führungskraft, die von den Geführten als ‚Witzfigur‘ wahrgenommen wird.

Der atmosphärische Kompass ist gut geeignet, um Selbst- und Fremdwahrnehmung abzugleichen; hierzu bietet es sich an, sich zunächst (in einer Position in einem der vier Quadranten) selbst zu verorten, um dann, ggf. zu einem späteren Zeitpunkt, von anderen darin positioniert zu werden. Dies kann eine bestehende Diskrepanz gut und nachvollziehbar illustrieren.


Fazit

Grundsätzlich können neben Coachings und Trainings auch spezifische Übungen durchgeführt werden, um ein besseres Gespür für die atmosphärische Ebene zu bekommen, und auch, wie andere einen wahrnehmen (vgl. hierzu ausführlich Julmi/​​​Rappe 2018, S. 163-202). Derartige Übungen sind Achtsamkeits-Übungen nicht unähnlich; sie dienen dazu, sich von Verstrickungen oder Stimmungen zu lösen. Hierzu geht die Führungskraft beispielsweise Begegnungen mit Mitarbeitenden noch einmal durch, indem sie sich auf bestimmte Punkte fokussiert, oder sie stimmt sich umgekehrt auf Begegnungen ein, um sie stärker atmosphärisch wahrzunehmen. Letztlich geht es bei all diesen Konfrontationen, Trainings, Hilfsmitteln, Übungen oder Techniken um dasselbe: Selbst- und Fremdwahrnehmung in Einklang zu bringen. Dies ist im Umgang mit Atmosphären vielleicht die größte Herausforderung überhaupt.


Literatur

Julmi, Christian/Rappe, Guido: Atmosphärische Führung. Stimmungen wahrnehmen und gezielt beeinflussen, München 2018


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