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Das Tanz-Modell der Atmosphärengestaltung

Umfragen belegen, dass die Arbeitsatmosphäre einer der wichtigsten Faktoren bei der Wahl des Arbeitgebers ist und nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Produktivität beeinflussen kann, im Guten wie im Schlechten. Ebenso zeigt sich, dass einer der wichtigsten Einflüsse auf die Atmosphäre in einem Team oder einer Abteilung die Führungskraft ist. Doch wie geht man am besten vor, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der Menschen motiviert und produktiv arbeiten? In diesem Beitrag möchte ich das Tanz-Modell der Atmosphärengestaltung vorstellen, das Führungskräfte einladen soll, mit dem richtigen Mindset an der Atmosphäre zu arbeiten.

Bevor wir uns jedoch dem Tanz-Modell der Atmosphärengestaltung zuwenden, sollten wir uns eines grundlegenden Prinzips bewusst werden: Atmosphären lassen sich nur dann gezielt beeinflussen, wenn Selbst- und Fremdwahrnehmung übereinstimmen, d.h. wenn ich als Führungskraft verstehe, wie andere mich auf einer atmosphärischen Ebene wahrnehmen. Wie schwierig das sein kann, möchte ich an einem kurzen Beispiel erläutern.


Angela, die engagierte Führungskraft

Angela ist eine erfahrene Führungskraft in einem Technologieunternehmen. Sie ist hochmotiviert und hat eine klare Vision für das Unternehmen. Angela ist der festen Überzeugung, dass, um erfolgreich zu sein, alle Mitarbeitende genauso leidenschaftlich und engagiert sein müssen wie sie selbst. Sie möchte ein Vorbild sein und vorangehen, um ihre Mitarbeitenden zu motivieren.

Angela setzt sich selbst hohe Ziele und erwartet, dass ihre Mitarbeitenden diese ebenfalls erreichen. Sie kommuniziert ihre Erwartungen häufig und deutlich, indem sie regelmäßig betont, wie wichtig es ist, immer 110% zu geben. Sie nimmt an, dass ihre Mitarbeitenden von ihrer Energie und ihrem Enthusiasmus angesteckt werden und dadurch ihre Leistung steigern.

Die Mitarbeitenden hingegen fühlen sich von Angelas Verhalten unter Druck gesetzt. Obwohl sie die Vision des Unternehmens teilen und motiviert sind, ihre Arbeit gut zu machen, fühlen sie sich von den hohen Erwartungen überfordert. Angela gibt ihnen das Gefühl, dass sie ständig perfekt sein müssen und keine Fehler machen dürfen. Dadurch entsteht ein Klima der Angst vor Fehlern und Misserfolgen.

Die Mitarbeitenden beginnen, sich gestresst und demotiviert zu fühlen. Sie haben das Gefühl, dass sie nicht mit den Erwartungen der Führungskraft Schritt halten können und Angst haben, ihre Positionen zu gefährden. Die ständige Betonung der hohen Leistungsstandards führt dazu, dass die Mitarbeitenden ihre eigenen Erfolge nicht mehr angemessen wertschätzen und sich stattdessen nur auf ihre Fehler und Defizite konzentrieren.

Obwohl einige Mitarbeitende versuchen, mit Angela über ihre Bedenken zu sprechen, ist sie nicht in der Lage, die negativen Auswirkungen ihres Verhaltens zu erkennen. Sie glaubt weiterhin fest daran, dass sie ihre Mitarbeitenden motiviert und zum Erfolg antreibt. Die Diskrepanz zwischen Angelas Wahrnehmung und der tatsächlichen Auswirkung ihres Verhaltens führt zu einer Kluft zwischen ihr und den Mitarbeitenden. Diese fühlen sich unter Druck gesetzt und demotiviert, obwohl Angela denkt, dass sie sie motiviert. Die Atmosphäre ist also nicht wie von ihr gedacht motivierend und inspirierend, sondern im Gegenteil demotivierend, herabsetzend und ohne Wertschätzung.


Das DJ-Modell der Atmosphärengestaltung

Die Frage, die sich hierbei stellt, ist: Warum bemerken wir oft nicht, dass unsere Selbstwahrnehmung nicht der Fremdwahrnehmung entspricht, wir also anders wahrgenommen werden als wir glauben? Schließlich haben wir kein Problem damit, eine solche Diskrepanz bei anderen zu erkennen. Warum gehen wir davon aus, dass andere uns genauso wahrnehmen, wie wir uns selbst sehen?

Dies liegt meines Erachtens daran, das in unserer westlichen Welt ein Denkmodell verbreitet ist, das ich als das DJ-Modell der Atmosphärengestaltung bezeichne. In diesem Denkmodell glauben wir, die Umwelt beeinflussen zu können, indem wir metaphorisch gesprochen „Knöpfe drücken“. Wir trennen die Ursache von der Wirkung und gehen bei der Gestaltung entsprechend vor: „Wenn ich A mache, kann ich B bewirken“. Wenn ich zum Beispiel motiviert vorangehe, erzeuge ich eine motivierende Atmosphäre, oder wenn ich einen Witz mache, bewirke ich Lockerung und so weiter.

Das DJ-Modell begegnet mir oft in der Praxis in Bezug auf die Gestaltung von Atmosphären. Menschen mit einem solchen Mindset möchten Lösungen in der Form: „Mit diesen fünf Handkniffen verbessern sie die Atmosphäre“ oder eine Check-Liste, die sich abarbeiten lässt. Kurz gesagt: Führungskräfte, die so denken, wollen wissen, welche Knöpfe sie drücken müssen, um bestimmte Effekte zu erzeugen, analog zu einem DJ, der an seinem Pult sitzt. Am besten schnell und effizient.

Das kann bis zu einem gewissen Grad zwar funktionieren, blendet aber das größte Problem völlig aus: die Diskrepanz von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Der DJ ist selbst nicht auf der Tanzfläche und nimmt sich bei diesem Denk-Modell vollständig aus der Gleichung heraus. Die Führungskraft drückt die Knöpfe, das Team hört die Musik, ist von ihr ergriffen und tanzt die Organisation und die Abteilung dann ohne die Führungskraft zum Erfolg. Dies funktioniert atmosphärisch gesehen allerdings eher schlecht als recht, da sich die Führungskraft nicht aus der Gleichung herausnehmen kann. Atmosphärisch gesehen ist sie Teil des Teams.


Das Tanz-Modell der Atmosphärengestaltung

Dem DJ-Modell stelle ich daher das Tanz-Modell der Atmosphärengestaltung gegenüber, bei dem die Führungskraft nicht außen steht und Knöpfe drückt, sondern selbst gleichzeitig Bestandteil und größter Einflussfaktor ist. Dieses Modell geht davon aus, dass die Führungskraft immer irgendwie präsent ist und die Atmosphäre prägt – unabhängig davon, ob sie das will oder nicht, ob sie sich dessen bewusst ist oder nicht, oder ob sie gerade tatsächlich anwesend ist oder nicht. Hierbei gilt, dass je geringer die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung ist, desto mehr Möglichkeiten hat die Führungskraft, die Atmosphäre zielgerichtet zu gestalten. Wenn, metaphorisch gesprochen, der gemeinsame Tanz funktionieren soll, muss man aufeinander eingestimmt sein und eine Verbindung eingehen. Dies setzt voraus, sich aus den Augen anderer betrachten zu können.

Abgesehen davon, dass sich Führungskräfte mit dem DJ-Denk-Modell selbst aus der Gleichung rausnehmen und so tun, als wäre Selbst- gleich Fremdwahrnehmung, ist dieses Modell aus einem weiteren Grund ungeeignet für die Atmosphärengestaltung, denn bei Atmosphären lassen sich Ursache und Wirkung nicht trennen. Oft weiß man nicht einmal, was bei Atmosphären Ursache und was Wirkung ist. Machen zum Beispiel gut gelaunte Menschen eine fröhliche Atmosphäre oder sorgt eine fröhliche Atmosphäre für gut gelaunte Menschen? Oder vermiesen die schlechten Quartalszahlen den Leuten die Stimmung oder sorgt die schlechte Stimmung für miese Quartalszahlen?

Dieses Problem gilt analog für die Führungskraft, denn sie ist gleichzeitig Ursache und Wirkung von Atmosphären. Sie ist Ursache, denn mit ihr ist die Atmosphäre eine andere als ohne sie. Sie ist Wirkung, weil sie eine Atmosphäre ausstrahlt, die andere wahrnehmen – und zwar grundsätzlich und immer. Jeder Mensch strahlt eine bestimmte Atmosphäre aus, egal ob er dem zustimmt oder nicht. Wer die Wirklichkeit zum Beispiel nur für eine Ansammlung von Daten, Fakten, Zahlen hält und die Atmosphäre als irrelevant abtut, weil sich diese nicht messen und in Zahlen packen lässt, der hat mit dieser Einstellung schon einen sehr spezifischen Einfluss auf die Atmosphäre – selbstverständlich ohne dass er oder sie es mitbekommen würde.


Sich aus den Augen von anderen sehen lernen

Zusammenfassend geht es also bei der atmosphärischen Führung nicht darum, etwas über Knöpfe zu lernen oder über Rezepte, die man nachkochen kann, sondern es geht darum, etwas über sich selbst zu lernen, also wie man auf andere wirkt.

Dies stellt allerdings eine der größten Herausforderungen überhaupt dar, da man auf sich selbst nicht so einfach von außen schauen kann, und vielleicht will man das auch gar nicht so richtig, da wir Menschen unser Selbstbild bekanntlich nur sehr ungern infrage stellen. Für die atmosphärische Führung ist dieser Schritt aber notwendig und Grundvoraussetzung dafür, in das eigentliche System der atmosphärischen Führung einzusteigen und den eigenen Einfluss damit systematisch auszurichten.

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