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Die atmosphärische Macht des ersten Eindrucks

Nichts prägt die Beziehung zwischen Menschen so sehr wie der erste Eindruck. Wer auf den anderen in der ersten Begegnung einen ‚guten‘ Eindruck machen will, sollte sich also genau überlegen, wie er auftritt und den anderen ‚beeindruckt‘, ohne Eindruck ‚zu schinden‘. Entscheidend ist dabei oft weniger, was man sagt, sondern wie man es sagt, also wie das Gesagte über Gestik, Mimik, Intonation und Körperhaltung transportiert wird. Diese atmosphärische Ebene des ersten Eindrucks ist oft schwer zu beeinflussen und bedarf eines Fingerspitzengefühls für die Situation und die eigene Wirkung auf den anderen.

Auch wenn es aufgrund der hohen (Eigen‑)Dynamik atmosphärischer Wirkkräfte kein Patentrezept für den richtigen ‚Auftritt‘ gibt, kann ein systematischer Zugang zu Atmosphären helfen, die eigene Wirkung auf den anderen zu reflektieren und ein atmosphärisches Fingerspitzengefühl zu entwickeln. Im System der atmosphärischen Führung lässt sich die gemeinsame Atmosphäre in zwei grundlegende Dimensionen zerlegen, die für die erfolgreiche Gestaltung des ersten Eindrucks von eminenter Bedeutung sind: (1) die Dimension von Attraktion und Repulsion und (2) die Dimension von Dominanz und Subdominanz.


Attraktion und Repulsion bestimmen die Beziehungsqualität

Bei Attraktion und Repulsion geht es darum, ob sich zwischen Menschen eine positiv-anziehende oder eine negativ-abstoßende Wirkung entwickelt (vgl. Julmi/Rappe 2018, S. 47-77). Finden sich zwei Menschen z. B. sympathisch, teilen sie eine attraktive Bindung zueinander, während sich Menschen bei Antipathie repulsiv gegenüberstehen. Ob sich zwischen Menschen ein attraktives oder repulsives Band entwickelt, hängt wesentlich vom ersten Eindruck ab, auch wenn andere Faktoren wie die Sozialisation oder bestehende Vorurteile ebenfalls eine Rolle spielen. Attraktion und Repulsion sind für jede Kommunikation grundlegend. Sie bestimmen, ob sich zwischen den Beteiligten eine gemeinsame Perspektive entwickelt (Attraktion) oder nicht (Repulsion).

Ein gegenseitiges Verständnis ist nur bei einer attraktiven Bindung möglich. Es gilt in der Regel das Prinzip der Reziprozität. Wer das Verhalten des anderen als annähernd wahrnimmt, reagiert häufig ebenfalls annähernd, während repulsives Verhalten eher eine repulsive Reaktion provoziert. Wer für sein Gegenüber nette Worte übrig hat, erntet nicht selten ein Gegenlob, während eine abfällige Geste den anderen entweder zum Gegenangriff oder zum Rückzug animiert. Das gegenseitige Prinzip des Gebens und Nehmens besitzt eine bindende Kraft. Ein gut begründetes Lob oder eine kompetente Beratung schaffen beim Gegenüber einen gewissen Druck zum Ausgleich (vgl. Garvin/Margolis 2015, S. 30).

Wer einen guten ersten Eindruck machen möchte, sollte also auf jeden Fall versuchen, eine attraktive Bindung zum Gegenüber aufzubauen. Wer sich z. B. im Vorfeld über den anderen informiert und ihn bei seinen Bedürfnissen abholt, hat einen guten ersten Schritt hin zu einer attraktiven Atmosphäre getan. Natürlich ist es auch möglich, dass man gar keinen Eindruck macht. Dann findet weder eine attraktive Annäherung noch eine repulsive Abgrenzung statt. Man wird einfach nicht wahrgenommen – und auch schnell wieder vergessen.


Dominanz und Subdominanz bestimmen die Rollenverteilung

Während Attraktion und Repulsion bestimmen, ob die Perspektiven in einer Interaktion sich angleichen oder auseinandergehen, entscheiden Dominanz und Subdominanz über das Gewicht, mit der die eigene Perspektive in die gemeinsame Situation eingebracht wird. Dominanz und Subdominanz sind sehr dynamisch und wechseln in der Interaktion häufig hin und her, so dass mal der eine, mal der andere als Impulsgeber fungiert. Sind zwei Menschen attraktiv verbunden, ist der dominante Part der Perspektivengeber und der subdominante Part der Perspektivennehmer. Subdominanz ist in diesem Fall also nichts Negatives, sondern steht für Empathie, Offenheit und Zuhören. Hier darf Dominanz auch nicht mit Autorität verwechselt werden, denn auch jemand, der sehr empathisch ist, kann als positive Autorität wahrgenommen werden, ohne dominant sein zu müssen. Die attraktive Annäherung der Perspektiven zeigt sich etwa bei einem Small Talk über das Wetter: Beide Seiten stimmen sich wechselseitig ab, bis ein gemeinsames Verständnis erreicht ist. Beim ersten Eindruck ist in der Regel noch offen, welche Seite die dominantere ist. Je gefestigter eine Beziehung ist, desto schwieriger ist es, die Dominanzverhältnisse zu ändern. Auch darüber sollte man sich bei der ersten Begegnung im Klaren sein. Ist die Begegnung zwischen Menschen repulsiv, geht es nicht um das Geben und Nehmen von Perspektiven, sondern darum, die eigene Perspektive über die eigene Dominanz durchzusetzen. Im Mittelpunkt steht nicht Kooperation, sondern Sieg (Dominanz) oder Niederlage (Subdominanz). Eine repulsives Kommunikationsverhalten zeigt sich z. B. bei politischen Debatten.

Wer einen guten ersten Eindruck machen möchte, sollte neben der Attraktion auch über die eigene Dominanz bzw. Subdominanz nachdenken. Wer den anderen zunächst bei dessen Bedürfnissen abholt, geht zunächst in eine eher subdominante Haltung, bei der die Perspektive des anderen im Vordergrund steht. Auf dieser gemeinsamen Basis kann man dann z. B. in eine etwas dominantere Rolle gehen, um die eigene Perspektive mit einzubringen und den anderen von dieser zu überzeugen. Nur durch eine gute Balance von Dominanz und Subdominanz kann die eigene Sichtweise so platziert werden, dass der Mehrwert für die Gegenseite erkennbar ist.


Die atmosphärische Ausstrahlung der Persönlichkeit

Die beiden Dimensionen von Attraktion und Repulsion sowie Dominanz und Subdominanz können helfen, eine Strategie für den ersten Eindruck zu entwickeln. Dazu gehört aber nicht nur der konkrete Auftritt in der Begegnung, sondern auch die eigene Persönlichkeit. Eine ‚beeindruckende‘ Persönlichkeit strahlt eine ganz andere Atmosphäre aus als eine unaufrichtige oder langweilige (vgl. Julmi/Rappe 2018, S. 20). Die eine wirkt inspirierend, die andere einschläfernd. Die Persönlichkeit eines Menschen macht auf andere Menschen ‚Eindruck‘ und wirkt als ‚Ausdruck‘ oder Ausstrahlung der eigenen Persönlichkeit atmosphärisch. Eine Persönlichkeit lässt sich zwar nicht beliebig verändern, aber durchaus kultivieren. Wichtig ist, dass die eigene Persönlichkeit authentisch ist und nicht zu aufgesetzt daherkommt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Eindruck, den man ‚macht’, nicht mit dem Eindruck übereinstimmt, den man machen will! Unbewusste Sympathien und Antipathien spielen hier eine wesentliche Rolle und wer nur eine Rolle spielt, wird meist entlarvt. Dann kippt die angestrebte Wirkung in ihr Gegenteil, leider nur allzu oft unbemerkt. Authentizität ist daher ein Schlüssel für den gekonnten Umgang mit Atmosphären – nicht nur, aber besonders ‚eindrücklich‘ bei der ersten Begegnung.


Literatur

Garvin, David A./Margolis, Joshua D.: Die Kunst des guten Ratschlags, in: Harvard Business Manager 26 (4/2015), S. 30-45

Julmi, Christian/Rappe, Guido: Atmosphärische Führung. Stimmungen wahrnehmen und gezielt beeinflussen, München 2018

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