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Die dunkle und die helle Seite der Dominanz in der Führung

Dominanz ist in der Führung ein Tabuthema, obwohl das Ausüben von Druck für viele Geführten Alltag ist. Darüber hinaus muss Dominanz aber keineswegs auf Druck beruhen, sondern kann ebenso von einer Sogwirkung ausgehen – und hat damit auch positive Seiten. Höchste Zeit also, über Führung und Dominanz zu sprechen. Der Beitrag blickt auf dieses Verhältnis durch die Brille der atmosphärischen Führung.


Der klassische Fall von Herrschaft und Unterwerfung

In unserem Sprachgebrauch ist Dominanz ein eindeutig negativ belegter Begriff. Dies gilt auch für den eher weniger gebräuchlichen Begriff der Subdominanz, die meist mit Unterwürfigkeit gleichgesetzt wird. Diese negative Dominanz setzt ein repulsives Verhältnis der interagierenden Personen voraus. Damit ist ein spürbarer Abstoßungseffekt zwischen ihnen gemeint, eine Druckwirkung ‚von etwas weg‘, wobei der Druck von der dominanten Seite ausgeht und auf die subdominante Seite einwirkt.

Es gibt Führungskräfte, da spürt man diesen Abstoßungseffekt ziemlich deutlich, etwa wenn sie einen anschreien oder eine unangenehm drückende Autorität besitzen. Allein das Auftauchen einer solchen Führungs-‚Persönlichkeit‘ kann einen Fluchtimpuls auslösen, der umso unangenehmer ist, wenn man diesem Impuls nicht nachgeben kann und in der ‚Falle‘ sitzt. Diese Art der Dominanz heißt im System der atmosphärischen Führung repulsive Dominanz. Sie ‚stoßt‘ andere in eine Richtung, in die sie nicht wollen, oder in eine Ecke, aus der sie nicht herauskommen. Subdominanz bedeutet dann, dieser ‚Stoßrichtung‘ ausgesetzt zu sein. Repulsive Dominanz zielt auf Herrschaft und Unterwerfung. Dies ist natürlich schon deshalb problematisch, weil sich solche Machtdynamiken in einer unguten Atmosphäre abspielen, die für die unterlegene Seite nicht nur unangenehm, sondern auch ungesund ist.

Es kommt allerdings noch ein weiteres Problem hinzu, denn nach dem ersten Hauptsatz der atmosphärischen Führung werden bei einem repulsiven Verhältnis keine Perspektiven geteilt (vgl. Julmi/Rappe 2018, S. 51). Die dominante Seite versucht, ihre Perspektive gegen den oder die andere durchzusetzen. Dies führt entweder dazu, dass die Gegenseite ihre Perspektive verliert, ohne eine neue zu gewinnen. Dann nimmt die Gegenseite die subdominante Rolle ein. Oder die Dominanz provoziert eine dominante Gegenreaktion und die Situation eskaliert. Diese Eskalation ist ein ‚Kampf der Perspektiven‘, in dem die eigene Perspektive als die jeweils überlegene geltend gemacht werden soll (man stelle sich eine politische Debatte als Beispiel vor). Trotz Konfrontation findet aber keine Annäherung, sondern im Gegenteil eine Abgrenzung der Perspektiven statt.


Dominanz und Subdominanz haben eine positive Seite

Es gibt aber nicht nur die repulsive, sondern auch die attraktive Form der Dominanz, deren Wirkung nicht auf Druck, sondern auf Sog beruht. Götz Werner sagt beispielsweise: „Die wahre Führung schafft es vielmehr, einen Sog zu entfachen, so dass der Mensch nicht gebunden werden muss, sondern dass er sich aus eigenem Antrieb verbindet“ (Werner 2013, S. 103). Bei der attraktiven Dominanz besteht ein spürbarer Anziehungseffekt zwischen den Kommunizierenden, eine Sogwirkung ‚auf etwas hin‘, wobei der Sog von der dominanten Seite ausgeht und auf die subdominante Seite einwirkt.

Grundsätzlich gilt, dass Menschen in der Interaktion mit anderen attraktiv-dominant sind, wenn ihre Perspektive das gemeinsame Verständnis prägt. Sehr häufig geschieht dies wechselseitig; dann nimmt jede Seite mal den dominanten Part des Perspektivengebers und mal den subdominanten Part des Perspektivennehmers ein. Dadurch entsteht ein von beiden Seiten ‚gespeistes‘ gemeinsames Verständnis.

Die attraktive Dominanz kann jedoch auch einseitig verteilt sein. Wenn jemand zum Beispiel eine spannende Geschichte erzählt, eine fesselnde Rede hält oder gekonnt einen Witz zum Besten gibt und die anderen gebannt zuhören und ‚an den Lippen‘ des oder der Erzählenden hängen, dann ist die erzählende Person in hohem Maße dominant, und zwar spürbar dominant. Wenn man jemandem ‚an den Lippen‘ hängt, dann ist man einem eindeutig dominanten Impuls unterworfen, dem man sich auf einer atmosphärischen Ebene nicht einfach entziehen kann. Dennoch ist der Impuls positiv besetzt. Man spürt die Dominanz, die beispielsweise von charismatischen Führungskräften ausgeht, als Faszination mit starker Anziehungskraft.

Führungskräfte, die eine attraktive Dominanz ausüben, geben einen positiven Impuls, den der andere freiwillig aufnimmt. Sie können andere von ihrer Perspektive überzeugen. Sie sind im direktesten Sinne Leader. Effektive Führung muss aber keinesfalls dominante Führung sein. Auch subdominante Führungskräfte können wirksam führen und eine positive Autorität ausstrahlen. Im positiven Sinne ist Subdominanz Empfänglichkeit oder Offenheit gegenüber Impulsen von anderen. Beim aufmerksamen Zuhören etwa nimmt die Führungskraft eine subdominante Haltung ein, ohne deshalb weniger Autorität haben zu müssen. Führungskräfte, die attraktiv subdominant sind, nehmen Impulse auf und stellen die Perspektiven und Bedürfnisse der Geführten ins Zentrum ihres Führungsansatzes.


Die eigene Dominanz ist unsichtbar

Grundsätzlich ist jede Interaktion durch das Zusammenspiel von Attraktion und Repulsion, Dominanz und Subdominanz geprägt. Für Führungskräfte stellt sich daher gar nicht die Frage, ob sie sich auf diese Kräfte einlassen; sie kommen aus ihnen überhaupt nicht heraus. Die Frage ist nicht, ob sie atmosphärisch führen, sondern wie sie atmosphärisch führen, d. h. welche Wirkung sie auf andere haben. Aus Sicht der atmosphärischen Führung sollte Führung überwiegend attraktiv sein, damit eine gemeinsame Perspektive entstehen kann. Ob sie (attraktiv) dominant oder subdominant sein sollte, hängt dagegen vom jeweiligen Führungskontext ab. Führungskräfte sollten aber in jedem Fall ihre eigene Wirkung auf andere einschätzen können.

Dies ist allerdings alles andere als leicht. Denn ob man selbst dominant ist oder nicht, kann man über sich selbst nur schwer sagen. Dominanz ist die Wirkung, die wir auf andere haben. Sie zeigt sich daher nicht in unserer eigenen Wahrnehmung, sondern in der Wahrnehmung der anderen. Das Blöde ist: Wenn wir in der Interaktion die dominante Rolle haben, machen wir damit die eigene Perspektive geltend – und haben deshalb keinen Zugang zur Perspektive des anderen, auch nicht bei einer attraktiv geprägten Interaktion. Daraus folgt die Paradoxie der Erkenntnis der eigenen Dominanz: Wer wissen will, ob sie oder er dominant ist, muss die dominante Rolle verlassen und eine subdominante Rolle einnehmen. Wenn wir aber nicht wissen, ob wir in der dominanten Rolle sind, wie können wir sie dann willentlich verlassen? Ein Blick in den Spiegel hilft hier nicht weiter. Es reicht nicht, einfach jemanden zu fragen. Wer dominant ist, bekommt die Dominanz nicht gespiegelt. Dafür muss man in die Subdominanz.

Für das Erkennen der eigenen Dominanz gibt es grundsätzlich Techniken, mit denen sich eine subdominante Rolle einnehmen lässt, auch wenn man zur Dominanz neigt. Eine Führungskraft kann beispielsweise das Machtgefälle verringern, indem sie fragt, was an der eigenen Meinung nicht plausibel ist. Ebenso ermöglicht das Innehalten, Abstand zu gewinnen und nachzusehen, wie der Gesprächspartner die Kommunikation aufnimmt (vgl. Garvin/Margolis 2015, S. 43). Es kann auch helfen, einen Coach zu suchen, aber keinen, den man persönlich (gut) kennt, damit dieser sachlich, kompetent und deutlich vermitteln kann, wie man auf andere wirkt. Man sollte sich aber darauf einstellen, dass dies wehtun kann, denn wenig erschüttert Menschen in ihren Grundfesten so wie die Erkenntnis, dass sie auf andere anders wirken als sie denken. Dabei dürfte dies eher die Regel als die Ausnahme sein.


Literatur

Garvin, David A./Margolis, Joshua D.: Die Kunst des guten Ratschlags, in: Harvard Business Manager 26 (4/2015), S. 30-45

Julmi, Christian/Rappe, Guido: Atmosphärische Führung. Stimmungen wahrnehmen und gezielt beeinflussen, München 2018

Werner, Götz W.: Kreativität und Gesellschaft, in: Julmi, Christian (Hrsg.): Gespräche über Kreativität, Bochum, Freiburg 2013, S. 98-103

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